Bei Tieren schwankt die Natur häufig zwischen der Erzeugung einer Vielzahl weniger widerstandsfähiger Individuen und der Schaffung einer begrenzten Anzahl sehr robuster Exemplare. Dieser Kompromiss zwischen Anzahl und Robustheit zeigt sich in vielen Bereichen, von militärischen Strategien bis hin zu biologischen Systemen.
Eine in der Fachzeitschrift
Science Advances veröffentlichte Studie untersucht genau dieses Dilemma in Ameisenkolonien. Die Wissenschaftler beobachteten, dass einige Arten die Investition in die Cuticula, die schützende Schicht des Exoskeletts, reduzieren, um eine größere Anzahl von Arbeiterinnen zu erzeugen. Diese Taktik ermöglicht die Entwicklung großer Kolonien mit Millionen von Mitgliedern.
3D-Rekonstruktion des Exoskeletts einer Ameisenarbeiterin (Myrmoteras sp.) mittels Röntgentomographie.
Bildnachweis: Julian Katzke
Die Cuticula schützt Ameisen hauptsächlich vor Fressfeinden, Austrocknung und Krankheitserregern. Sie dient auch als strukturelle Stütze für die Muskeln. Ihre Herstellung erfordert jedoch begrenzte Ressourcen wie Stickstoff und bestimmte Mineralien. Eine dickere Cuticula verbraucht mehr dieser Nährstoffe, was die Anzahl der Individuen, die eine Kolonie erhalten kann, einschränken könnte.
Um diese Hypothese zu testen, maß das Team das Volumen der Cuticula und des gesamten Körpers bei über 500 Ameisenarten mittels 3D-Scans. Die Beobachtungen zeigten, dass die Investition in die Cuticula zwischen 6% und 35% des Körpervolumens schwankt. Durch den Abgleich dieser Daten mit evolutionären Modellen zeigte sich ein deutlicher Trend: Arten, die weniger Ressourcen für ihre Cuticula aufwenden, haben im Allgemeinen größere Kolonien.
Eine dünnere Cuticula macht zwar jede einzelne Ameise verwundbarer, könnte aber dennoch die Ausbreitung der Kolonien begünstigen. Laut den Autoren ist diese Reduzierung der individuellen Panzerung mit vorteilhaften sozialen Verhaltensweisen wie gemeinsamer Nahrungssuche und Arbeitsteilung verbunden. Evan Economo, Mitautor der Studie, zieht eine Parallele zur Entstehung der Vielzelligkeit, bei der kooperative Einheiten, die für sich genommen einfacher sind, die Entwicklung einer komplexen kollektiven Organisation ermöglichen.
Dieser Ansatz korreliert auch mit beschleunigten Diversifizierungsraten, was bedeutet, dass sich Arten mit weniger entwickelter Cuticula schneller zu differenzieren scheinen. Die Forscher vermuten, dass ein geringerer Stickstoffbedarf den Ameisen helfen könnte, sich in neuen Lebensräumen anzusiedeln. Darüber hinaus verringert der Gruppenschutz in großen Kolonien die Notwendigkeit für jede Arbeiterin, über eine starke körperliche Abwehr zu verfügen.
Es lassen sich Analogien zu anderen Systemen, auch menschlichen, ziehen. In der Militärgeschichte beispielsweise wurden schwer gepanzerte Ritter von zahlreicheren und spezialisierten Einheiten abgelöst. Arthur Matte, Hauptautor der Studie, weist darauf hin, dass dieser Wechsel zwischen Quantität und Robustheit allgegenwärtig ist und dass Ameisen dafür aus evolutionärer Sicht ein überzeugendes Beispiel liefern.
Quelle: Science Advances