Die Kontinente, wie wir sie kennen, sind keine stabilen Gebilde. Laut einer in
Nature Geoscience veröffentlichten Studie unterliegt ihre Basis einer kontinuierlichen Erosion durch die Bewegungen des Erdmantels. Fragmente der kontinentalen Kruste werden in mehr als 150 Kilometern Tiefe abgerissen und dann horizontal über Entfernungen von mehr als tausend Kilometern transportiert. Dieser extrem langsame Prozess verändert dauerhaft die Zusammensetzung der tiefen Schichten unseres Planeten.
Diese Entdeckung wirft ein neues Licht auf die Bildung von Vulkaninseln mitten in den Ozeanen. Regionen wie die Weihnachtsinsel im Indischen Ozean weisen erstaunlich ähnliche chemische Signaturen wie die Kontinente auf, obwohl sie von riesigen Ozeanflächen umgeben sind. Forscher haben lange versucht zu verstehen, wie diese kontinentalen Elemente so weit von ihrem Ursprungsort gelangen konnten.
Unser Planet offenbart eine bisher unbekannte Dynamik: Die Kontinente verlieren allmählich ihre Basis und schicken altes Material auf die Reise unter den Ozeanen, wo es neue vulkanische Aktivität speist.
Bildnachweis: Prof Tom Gernon, Universität Southampton
Das internationale Team unter der Leitung der Universität Southampton entwickelte Computersimulationen, um das Verhalten der Kontinente und des Erdmantels zu modellieren. Ihre Arbeit zeigt, dass sich Wellen an der Basis der Kontinentalmassen ausbreiten und Instabilitäten erzeugen, die allmählich Teile ihrer tiefen Wurzel abreißen. Diese Bewegung erfolgt mit einer winzigen Geschwindigkeit, viel langsamer als das Wachstum eines Fingernagels.
Die Analyse geochemischer Daten aus dem Indischen Ozean lieferte konkrete Beweise für diesen Mechanismus. Die Wissenschaftler untersuchten die Umgebung der Unterwasserberge im Indischen Ozean, die nach der Auflösung des Superkontinents Gondwana vor über hundert Millionen Jahren entstanden. Sie beobachteten, dass unmittelbar nach dieser Trennung ein signifikanter Anstieg von Magma mit angereicherten kontinentalen Elementen an der Oberfläche auftrat.
Im Laufe von zig Millionen Jahren schwächte sich dieses chemische Signal allmählich ab, während der Zustrom von kontinentalem Material nachließ. Diese Entwicklung erfolgte ohne das Eingreifen tiefer Mantel-Plumes, die Geologen bisher für diese Art von vulkanischer Aktivität verantwortlich machten. Der entdeckte Prozess funktioniert unabhängig von diesen aufsteigenden heißen Materialströmen aus der Tiefe.
Diese Forschung eröffnet neue Perspektiven für das Verständnis der langfristigen Entwicklung unseres Planeten. Die beschriebenen Bewegungen halten lange nach der scheinbaren Trennung der Kontinente an, formen weiterhin die Zusammensetzung des Erdmantels und beeinflussen die vulkanische Aktivität über geologische Zeiträume. Unser Verständnis der inneren Dynamik der Erde wird dadurch erheblich bereichert.
Die chemische Signatur der Gesteine: Der geologische Pass der Kontinente
Jede Region der Erde besitzt eine einzigartige chemische Signatur, die es Wissenschaftlern ermöglicht, ihre Geschichte zurückzuverfolgen. Kontinente weisen besondere Konzentrationen bestimmter Elemente wie Kalium, Uran oder Thorium auf, die sie deutlich von ozeanischen Gesteinen unterscheiden. Diese chemischen Unterschiede dienen als echte Fingerabdrücke, um die Herkunft der Materialien zu identifizieren.
Wenn kontinentale Fragmente in den ozeanischen Mantel transportiert werden, behalten sie diese charakteristische Signatur. Vulkane, die in den Ozeanen ausbrechen und dieses abgerissene kontinentale Material einbeziehen, produzieren dann Laven, deren chemische Zusammensetzung auf diesen Ursprung schließen lässt. So können isolierte Vulkaninseln erstaunliche chemische Ähnlichkeiten mit fernen Kontinenten aufweisen.
Geochemiker analysieren diese Signaturen mit bemerkenswerter Präzision, indem sie die Verhältnisse zwischen verschiedenen Elementen und Isotopen messen. Diese Analysen ermöglichen nicht nur die Identifizierung der Anwesenheit von kontinentalem Material, sondern auch die Schätzung seines Alters und seiner geografischen Herkunft. Jede Gesteinsprobe von Vulkanen wird so zu einem wertvollen Zeugen tiefgreifender Prozesse.
Die Beständigkeit dieser chemischen Signaturen über zig Millionen Jahre hinweg bietet Wissenschaftlern ein einzigartiges Fenster in die geologische Geschichte unseres Planeten. Sie ermöglicht die Rekonstruktion vergangener Bewegungen der Kontinente und des Mantels und enthüllt unerwartete Verbindungen zwischen Regionen, die heute durch ganze Ozeane getrennt sind.
Quelle: Nature Geoscience