Die Geschichte der Menschheit ist von Seuchen geprägt, die Gesellschaften tiefgreifend verändert haben. Unter ihnen bleibt die Justinianische Pest eine der rätselhaftesten.
Fast 1.500 Jahre nach ihrem Ausbruch ist es einem Forscherteam gelungen, einen Teil dieses Rätsels zu lösen, indem es in einer Schlüsselregion der antiken Welt direkte genetische Beweise entdeckt hat. Dieser Fortschritt erhellt nicht nur die Vergangenheit, sondern hilft auch, die Mechanismen heutiger Pandemien besser zu verstehen.
Durch die Analyse alter DNA identifizierten Wissenschaftler das Bakterium Yersinia pestis in menschlichen Zähnen, die in einem Massengrab in Jerash, Jordanien, gefunden wurden. Diese Fundstelle, etwa 320 km vom mutmaßlichen Epizentrum der Pandemie entfernt, liefert ein einzigartiges Zeugnis über die Ausbreitung der Krankheit im Byzantinischen Reich. Die nachgewiesenen Stämme sind nahezu identisch, was auf eine schnelle und massive Verbreitung hindeutet – im Einklang mit historischen Berichten, die von plötzlichen Sterbewellen berichten.
(A) Karte mit Regionen alter DNA im Zusammenhang mit der ersten Pandemie. Jerash ist mit einem Stern markiert. Gelbe Punkte zeigen genetische Nachweise von Y. pestis, einschließlich des frühen Stammes Tian Shan Hun.
(B) Grundriss des Hippodroms von Jerash (Gerasa). Der Plan wurde nach einer Illustration von Anton Ostrasz neu gezeichnet. Die Massengräber wurden in den Kammern W2 und W3 des verlassenen römischen Hippodroms entdeckt.
(C) Eine der Kammern (W2), in denen die Leichen gefunden wurden.
Quelle: Genes (2025). DOI: 10.3390/genes16080926
Die Ausgrabungen in Jerash zeigen auch, wie eine alte römische Arena, einst ein Ort der Unterhaltung, in einen improvisierten Friedhof für die Opfer umgewandelt wurde. Diese Zweckentfremdung verdeutlicht, wie sehr die Pest das städtische Leben erschütterte und die Bewohner zwang, Notlösungen zu finden. Diese plötzliche Umnutzung eines öffentlichen Ortes unterstreicht die Anfälligkeit großer Städte gegenüber Gesundheitskrisen – eine Erkenntnis, die auch heute noch aktuell ist.
Eine parallele Studie, veröffentlicht in
Pathogens, analysierte mehrere hundert Genome von Yersinia pestis, sowohl alte als auch moderne. Sie zeigt, dass Pest-Pandemien, einschließlich des Schwarzen Todes im 14. Jahrhundert, nicht alle den gleichen Ursprung haben. Sie entstanden unabhängig voneinander aus tierischen Reservoiren und nicht aus einem einzigen ursprünglichen Stamm. Dieses Muster steht im Gegensatz zu COVID-19, das wahrscheinlich auf ein einziges Überspringen des Virus auf den Menschen zurückgeht.
Diese Ergebnisse erinnern daran, dass Pandemien keine isolierten Unfälle sind, sondern wiederkehrende Phänomene, die mit menschlichem Austausch und Umweltveränderungen verbunden sind. Die Forscher setzen ihre Arbeit nun in Venedig auf der Insel Lazaretto Vecchio fort, wo Infizierte unter Quarantäne gestellt wurden, um zu verstehen, wie diese alten Praktiken die Evolution von Krankheitserregern und das kollektive Gedächtnis der Gesellschaften beeinflusst haben.
Die Justinianische Pest: eine vergessene Pandemie
Die Justinianische Pest, die zwischen 541 und 750 n. Chr. auftrat, gilt als die erste historisch dokumentierte Pandemie. Sie soll zig Millionen Menschen getötet, das Byzantinische Reich nachhaltig geschwächt und die Geschichte des Mittelmeerraums verändert haben. Zeitgenössische Berichte beschreiben hohes Fieber, geschwollene Lymphknoten und eine blitzschnelle Sterblichkeit – typische Merkmale der Beulenpest.
Bis vor kurzem war die genaue Natur dieser Krankheit umstritten, da nur wenige direkte Spuren gefunden worden waren. Die Entdeckung in Jerash liefert eine solide genetische Bestätigung für die Rolle von Yersinia pestis. Sie ermöglicht die Rekonstruktion der Ausbreitungswege der Epidemie entlang der Handels- und Militärrouten der damaligen Zeit.
Die Analyse alter DNA war entscheidend: Sie ermöglichte die Extraktion intakten genetischen Materials aus menschlichen Überresten, die über 1.500 Jahre alt sind. Diese Techniken eröffnen neue Perspektiven für die Erforschung anderer alter Seuchen und für ein besseres Verständnis der Evolution von Infektionskrankheiten im Laufe der Zeit.
Yersinia pestis: ein hartnäckiger Erreger
Yersinia pestis ist das Bakterium, das die Pest verursacht und für mehrere große Pandemien verantwortlich ist. Es wird hauptsächlich durch infizierte Flöhe übertragen, die es von Nagetieren auf Menschen übertragen. Die Krankheit tritt hauptsächlich in zwei Formen auf: die Beulenpest mit schmerzhaften Beulen und einer hohen Sterblichkeitsrate sowie die Lungenpest, die noch tödlicher ist und über die Luft übertragen werden kann.
Noch heute ist Yersinia pestis nicht verschwunden. Isolierte Fälle werden jedes Jahr gemeldet, zum Beispiel in den USA oder in Afrika, da das Bakterium in Nagetierpopulationen überlebt, die als natürliches Reservoir dienen.
Aktuelle genetische Analysen zeigen, dass Pest-Epidemien nicht von einem einzigen Stamm ausgehen, sondern regelmäßig aus diesen tierischen Reservoiren wieder auftauchen. Diese Dynamik erklärt, warum eine vollständige Ausrottung der Krankheit unmöglich ist. Sie unterstreicht auch die Bedeutung kontinuierlicher Überwachung und angepasster öffentlicher Gesundheitsmaßnahmen, um neue Ausbrüche zu verhindern.
Quelle: Genes