Jahrzehntelang klassifizierten Wissenschaftler ChamĂ€leons hauptsĂ€chlich anhand ihrer Ă€uĂeren Morphologie. Dieser traditionelle Ansatz fĂŒhrte manchmal zu anhaltenden taxonomischen Verwechslungen, insbesondere bei Arten mit Ă€hnlichen Merkmalen.
Madagaskar, eine Insel vor der OstkĂŒste Afrikas, ist als Hotspot der BiodiversitĂ€t fĂŒr ChamĂ€leons bekannt. Mehr als 40 % der dokumentierten Arten leben dort, einschlieĂlich des gemeinhin als Pinocchio bezeichneten ChamĂ€leons, das seit fast 150 Jahren beobachtet wird. Diese Gruppe, bekannt als Artkomplex
Calumma gallus, zeichnet sich durch die verlÀngerten Nasenanhanggebilde der MÀnnchen aus.
Ausgewachsenes MÀnnchen von Calumma nasutum. Die wahre IdentitÀt dieser Art, die seit fast 190 Jahren bekannt ist, wurde durch moderne genetische Methoden geklÀrt.
Bildnachweis: Miguel Vences, TU Braunschweig
JĂŒngste genetische Analysen haben ergeben, dass das Pinocchio-ChamĂ€leon tatsĂ€chlich eine eigenstĂ€ndige Art darstellt, offiziell benannt als
Calumma pinocchio. Diese Entdeckung stĂŒtzt sich auf die Untersuchung von DNA aus in Museen aufbewahrten Exemplaren und stellt Klassifizierungen in Frage, die sich nur auf die Nasenform stĂŒtzen.
Die MĂ€nnchen der neuen Art Calumma pinocchio besitzen einen Nasenanhang mit glatten RĂ€ndern.
Bildnachweis: Frank Glaw, SNSB
Die Forscher identifizierten eine zweite neue Art,
Calumma hofreiteri, die zuvor aufgrund morphologischer Ăhnlichkeiten mit
Calumma nasutum in Verbindung gebracht wurde. Die Analyse der evolutionÀren Beziehungen zeigte, dass sich Nasenanhanggebilde schnell entwickeln können, möglicherweise beeinflusst durch die PrÀferenzen der Weibchen bei der Partnerwahl.
Die MĂ€nnchen von Calumma gallus weisen einen Nasenanhang mit deutlichen Stacheln auf.
Bildnachweis: Frank Glaw, SNSB
Die verwendete Methode, genannt Museomik, ermöglicht die Extraktion von DNA aus historischen Exemplaren, wobei das Àlteste von 1836 stammt. Laut den Forschern eröffnet dieser Ansatz neue Perspektiven, um Fehlidentifikationen in Artkomplexen zu korrigieren, wie Professor Miguel Vences von der Technischen UniversitÀt Braunschweig mitteilte.
Das Weibchen von Calumma pinocchio und andere Arten des C. gallus-Komplexes tragen einen kurzen und ĂŒberwiegend roten Nasenanhang.
Bildnachweis: Frank Glaw, SNSB
Mit diesen beiden neuen Beschreibungen umfasst Madagaskar nun genau 100 ChamÀleonarten von weltweit insgesamt 236.
Die neue Art Calumma hofreiteri, frĂŒher mit C. nasutum verwechselt, ist eine Hommage an den Genetiker Prof. Dr. Michael Hofreiter.
Bildnachweis: David Prötzel
Museomik
Museomik ist eine wissenschaftliche Technik, die die Analyse von DNA aus in Museen konservierten Exemplaren ermöglicht. Sie nutzt historische Proben, manchmal mehrere Jahrzehnte alt, um genetische Sequenzen zu extrahieren. Diese Methode ist besonders nĂŒtzlich fĂŒr seltene oder ausgestorbene Arten, bei denen neuere Sammlungen unmöglich sind.
In der Taxonomie hilft die Museomik, Verwechslungen zu klÀren, die auf morphologischer Identifikation beruhen. Zum Beispiel lieferten ChamÀleons, die seit dem 19. Jahrhundert gelagert wurden, entscheidende Daten zur Unterscheidung neuer Arten. So vermeidet man die AbhÀngigkeit allein von physischen Merkmalen, die sich mit der Umwelt verÀndern können.
Fortschritte in der DNA-Sequenziertechnologie haben die Museomik zugĂ€nglicher gemacht. Sie ermöglicht die Ăberarbeitung alter Klassifikationen, ohne neue Feldexpeditionen zu erfordern. So werden Sammlungen zu wertvollen Ressourcen fĂŒr die Evolutionsforschung.
Quelle: Salamandra