Die Narben der Kindheit sind nicht nur den Menschen vorbehalten. Eine wachsende Zahl von Forschungen zeigt, dass auch wilde Tiere dauerhafte Spuren ihrer traumatischen Erfahrungen tragen. Ein aufkommendes Konzept rückt dieses Phänomen in der Tierwelt ins Rampenlicht.
Der kumulative Widrigkeits-Index stellt sich als ein neues Messinstrument vor. Inspiriert von der Forschung in der menschlichen Psychologie bewertet dieser Index den im Laufe des Lebens eines Tieres angesammelten Stress und liefert somit Informationen über dessen Wohlbefinden. Es handelt sich um einen echten Indikator für Leiden im Tierreich.
Die Forscher haben mehrere Quellen von Widrigkeiten identifiziert. Extreme Wetterereignisse wie Dürren oder späte Frühlinge stellen erhebliche Bedrohungen dar. Diese Bedingungen beeinflussen nicht nur die Verfügbarkeit von Nahrung, sondern auch das Überleben junger Tiere. Der umweltbedingte Stress hat somit direkte Auswirkungen auf ihr Verhalten und ihre Entwicklung.
Über die Ökologie hinaus spielt auch die Familiendynamik eine entscheidende Rolle. Der Verlust der Eltern, insbesondere der Tod einer Mutter, beeinflusst junge Tiere erheblich. Studien über die Gelbbauchmurmeltier zeigen, dass ein Mutterverlust die Überlebenschancen erheblich verringert. Mütterliches Verhalten, das in den frühen Lebensphasen entscheidend ist, beeinflusst zukünftiges Verhalten.
Die Forschungsergebnisse über Murmeltiere veranschaulichen die Komplexität der Wechselwirkungen zwischen Stressfaktoren. Junge Murmeltiere, die frühen Widrigkeiten ausgesetzt sind, zeigen eine verringerte Resilienz. Darüber hinaus kann die Dynamik innerhalb ihrer Geschwisterreihe ihr Verhalten beeinflussen. Es wurde festgestellt, dass bei Würfen mit deutlich mehr Männchen als Weibchen die Weibchen dazu neigen, maskulinisierte Verhaltensweisen zu entwickeln.
Die Einführung eines kumulativen Widrigkeits-Index könnte es ermöglichen, die Naturschutzstrategien anzupassen. Anstatt sich nur auf Umweltbedrohungen zu konzentrieren, wäre es sinnvoll, einen ganzheitlichen Ansatz zu verfolgen. Indem die am stärksten gefährdeten Populationen identifiziert werden, können Naturschützer gezielte Interventionen entwickeln, um diese Arten zu schützen.
Die Berücksichtigung von Traumata im Tierschutz könnte nicht nur das Wohlbefinden der Arten, sondern auch die Biodiversität verbessern. Dieser neue Ansatz schlägt einen Paradigmenwechsel in der Bewertung und dem Schutz von Wildtieren vor. So öffnen die Forscher den Weg zu wirksameren und respektvolleren Praktiken, die den Bedürfnissen der Tiere gerecht werden.
Autor des Artikels: Cédric DEPOND
Quelle: Ecology Letters