Adrien - Donnerstag 19 Juni 2025

🐢 Die Evolution, erzählt von Schildkrötenpanzern

Eine Studie zeigt, dass Schildkröten sowohl genetische Signale als auch mechanische Kräfte nutzen, um die Schuppen auf ihrem Kopf zu formen. Dies offenbart eine gemeinsame Verwandtschaft mit Krokodilen und Dinosauriern.

Bei Wirbeltieren wird die Bildung von Federn, Haaren und Schuppen normalerweise durch molekulare genetische Faktoren gesteuert. Die Schuppen auf dem Kopf von Krokodilen sind jedoch eine Ausnahme, da sie durch einen rein mechanischen Prozess der Hautfaltung entstehen.


Ein klassisches chemisches Modell steuert die Bildung der peripheren Schuppen, während die Schuppen auf der Kopfoberseite durch Hautfalten entstehen, die durch mechanische Spannungen im Zusammenhang mit dem Knochenwachstum verursacht werden.
© Michel Milinkovitch

Eine neue Studie der Universität Genf (UNIGE) zeigt, dass Schildkröten diese beiden unterschiedlichen Prozesse nutzen, um ihre Schuppen in verschiedenen Bereichen ihres Kopfes zu entwickeln. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass die mechanische Formung von Schuppen ein ursprüngliches Merkmal ist, das mit Krokodilen und wahrscheinlich auch Dinosauriern geteilt wird, aber bei Vögeln verloren ging. Die in iScience veröffentlichten Ergebnisse werfen nicht nur ein neues Licht auf die Evolution der Reptilien, sondern eröffnen auch Perspektiven für Innovationen in verschiedenen Anwendungsbereichen.


Bei den meisten Wirbeltieren entstehen Hautanhänge wie Haare, Federn oder Schuppen aus sogenannten Placoden – kleinen, spezialisierten Hautbereichen, deren räumliche Organisation durch molekulare genetische Signale gesteuert wird, die im Laufe der Evolution stark konserviert wurden. Krokodile stellen jedoch eine Ausnahme dar: Die Schuppen auf ihrem Kopf entstehen nicht aus Placoden, sondern durch einfache mechanische Faltung der wachsenden Haut.

Diese Studie enthüllt eine neue Facette der Evolutionsgeschichte der Reptilien.

Ein Kopf, zwei Mechanismen


Das Labor von Michel Milinkovitch, Professor an der Abteilung für Genetik und Evolution der Fakultät für Naturwissenschaften der UNIGE, hatte diesen Mechanismus bereits zuvor aufgeklärt. Diesmal richtete sich das Interesse auf Schildkröten. Die Genfer Wissenschaftler entdeckten, dass diese Reptilien beide Strategien kombinieren – ein bisher bei Wirbeltieren unbekannter Befund.

Die peripheren Schuppen des Kopfes folgen dem klassischen, chemischen Modell, indem sie Gene exprimieren, die für die Entwicklung von Placoden charakteristisch sind. Auf der Kopfoberseite hingegen finden sich keine Spuren dieser genetischen Signale: Hier faltet sich die Haut aufgrund mechanischer Spannungen, die durch das langsamere Wachstum der darunterliegenden Gewebe, insbesondere der Knochen, entstehen.

Von der Physik geformte Muster


Mithilfe von 3D-Lichtblattmikroskopie und Computermodellierung konnten die Wissenschaftler zeigen, dass diese mechanischen Kräfte ausreichen, um die in diesem Bereich beobachteten unregelmäßigen polygonalen Muster zu erzeugen. „Diese mechanische Faltung erklärt die asymmetrischen Formen der Schuppen auf der Kopfoberseite“, sagt Rory Cooper, Postdoktorand im Labor von Michel Milinkovitch und Mitautor der Studie. „Sie erklärt auch die bemerkenswerte Variation zwischen Individuen und sogar zwischen der rechten und linken Seite des Kopfes ein und desselben Individuums“, fügt Ebrahim Jahanbakhsh hinzu, Informatiker im Team und ebenfalls Mitautor der Studie.

Ein Erbe der Ur-Reptilien



Aus evolutionärer Sicht ist diese Entdeckung bedeutsam. Tatsächlich sind Land- und Wasserschildkröten (gemeinsam als Testudinata bekannt) die nächsten lebenden Verwandten von Krokodilen und Vögeln. Die Tatsache, dass Schildkröten und Krokodile denselben mechanischen Prozess der Schuppenbildung teilen, legt nahe, dass dieser bei ihrem gemeinsamen Vorfahren entstanden ist. Bei Vögeln ging er später verloren.

„Dies enthüllt eine neue Facette der Evolutionsgeschichte der Reptilien: Die Fähigkeit, Kopfschuppenmuster durch mechanische Kräfte zu erzeugen, ist ein uraltes Merkmal – das der Entstehung moderner Schildkröten, Krokodile und Vögel vorausging und daher höchstwahrscheinlich auch bei Dinosauriern vorhanden war“, erklärt Michel Milinkovitch.

Über die Evolutionsbiologie hinaus sind diese Ergebnisse für das aufstrebende Feld der Bionik – die Suche nach innovativen Lösungen durch die Beobachtung der Natur – sowie für die regenerative Medizin von großem Interesse. Denn das Verständnis, wie komplexe Strukturen aus einfachen physikalischen Regeln entstehen, inspiriert Fortschritte in so unterschiedlichen Anwendungsbereichen wie Architektur, Geweberegeneration und der Entwicklung innovativer Materialien.

Quelle: Universität Genf
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