Mit dem Aufkommen von Antibiotika in den 1930er Jahren wurde die Phagentherapie (die Verwendung von Viren, sogenannten Bakteriophagen, zur Bekämpfung bakterieller Infektionen) aufgegeben. Heutzutage macht die zunehmende Antibiotikaresistenz die Behandlung bakterieller Infektionen immer schwieriger, und die Phagentherapie weckt trotz ihrer aufgrund der enormen Vielfalt und Spezifität von Bakteriophagen komplexen Anwendung wieder das Interesse von Medizinern und Forschern.
So haben Wissenschaftler des Institut Pasteur, des Inserm, der AP-HP und der Universität Paris Cité ein neues Werkzeug entwickelt, das in der Lage ist, auf einfache und effiziente Weise den besten möglichen Bakteriophagen-Cocktail für einen bestimmten Patienten auszuwählen. Dafür haben sie ein auf künstlicher Intelligenz basierendes Modell erstellt und trainiert, das maßgeschneidert Bakteriophagen allein anhand des Genoms der Zielbakterien auswählen kann.
Darstellung eines Phagen, der an einer Bakterie haftet.
© Adrien Bernheim
Die Ergebnisse dieser Arbeit wurden am 31. Oktober 2024 in der Fachzeitschrift
Nature Microbiology veröffentlicht und ebnen den Weg für personalisierte Phagentherapien zur Bekämpfung von Infektionen mit antibiotikaresistenten Bakterien.
Einige Bakterien, wie zum Beispiel
Escherichia coli, sind zunehmend resistent gegen herkömmliche Antibiotika und entwickeln sich zu sogenannten "Superbakterien". Um diese Resistenzen, die ein erhebliches Problem für die öffentliche Gesundheit darstellen, zu umgehen, untersuchen Forscher die Möglichkeiten der Phagentherapie. Das Prinzip: Viren, sogenannte Phagen oder Bakteriophagen, nutzen, die ausschließlich Bakterien infizieren, um gezielt krankheitserregende Bakterien für den Menschen zu eliminieren.
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Die Phagentherapie wurde vom Pasteur-Forscher Félix d'Hérelle in den 1920er Jahren entwickelt und mit dem Aufkommen der Antibiotika in den 1930er Jahren, die viel einfacher und kostengünstiger herzustellen und anzuwenden waren, aufgegeben. Heute wird die Phagentherapie nur noch in wenigen Ländern Osteuropas, wie etwa Georgien, eingesetzt. In westlichen Ländern jedoch werden breit einsetzbare Phagen lediglich gelegentlich aus Mitgefühl zur Behandlung chronischer Infektionen durch multiresistente Bakterien eingesetzt, wenn keine zugelassenen Medikamente mehr wirksam sind", erklärt Baptiste Gaborieau, Mitautor des Artikels, Intensivmediziner am Louis-Mourier-Krankenhaus (AP-HP) und Forscher im Labor IAME (Université Paris Cité-Inserm).
"Seit rund zwanzig Jahren, durch die Förderung der WHO und jüngste klinische Studien, insbesondere in Europa, gewinnt die Phagentherapie wieder an Interesse."
Eine der Herausforderungen besteht darin, herauszufinden, welcher Bakteriophage bei einer bestimmten Infektion wirksam ist, da jeder Phage nur bestimmte bakterielle Stämme infizieren kann. In Böden oder Gewässern, in denen Phagen natürlicherweise vorkommen, zirkulieren sie, bis sie ihr Ziel finden.
Aus diesem Grund entschieden sich Wissenschaftler des Institut Pasteur, des Inserm, der AP-HP und der Universität Paris Cité, die Wechselwirkungen zwischen Bakterien und Phagen genauer zu untersuchen, um herauszufinden, ob es möglich ist, die Wirksamkeit eines Bakteriophagen bei einem bestimmten Bakterienstamm vorherzusagen. Der erste Schritt bestand somit darin, eine hochwertige Datenbank mit 403
Escherichia coli-Stämmen auf der einen Seite und 96 Bakteriophagen auf der anderen Seite zu erstellen. Diese Arbeit erforderte mehr als zwei Jahre Mühe.
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Wir haben die Phagen in Kulturen mit den Bakterien zusammengebracht und beobachtet, welche Bakterien abgetötet wurden. Wir untersuchten 350.000 Interaktionen und konnten auf Genom-Ebene der Bakterien Merkmale identifizieren, die eine Vorhersage der Wirksamkeit der Phagen ermöglichen", fasst Aude Bernheim, Hauptautorin der Studie und Leiterin des Labors für Molekulare Vielfalt von Mikroben am Institut Pasteur, zusammen.
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Im Gegensatz zu dem, was ursprünglich angenommen wurde, sind es die Rezeptoren auf der Oberfläche der Bakterien und nicht deren Abwehrmechanismen, die in erster Linie die Fähigkeit der Bakteriophagen bestimmen, ob sie Bakterien infizieren können und wie effektiv sie sind", fügt Florian Tesson, Mitautor des Artikels und Doktorand in den Laboratorien für Molekulare Vielfalt von Mikroben am Institut Pasteur und IAME an der Universität Paris Cité-Inserm, hinzu.
Dank dieser präzisen und umfassenden Analyse der Interaktionsmechanismen zwischen Bakterien und Phagen konnten die Bioinformatiker des Teams ein optimiertes und effizientes KI-Programm entwickeln. Dieses basiert auf der Analyse des Genoms der Bakterien, insbesondere auf den Regionen, die für die Codierung der Membranrezeptoren der Bakterien, den Eintrittspunkten der Phagen, verantwortlich sind.
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Hier handelt es sich nicht um eine "Black Box", und das ist die Stärke unseres KI-Modells. Wir wissen genau, wie es funktioniert, was uns hilft, seine Leistung zu verbessern", betont Hugo Vaysset, Mitautor des Artikels und Doktorand am Labor für Molekulare Vielfalt von Mikroben am Institut Pasteur.
Nach mehr als zwei Jahren Entwicklung und Training konnte die KI in 85 % der Fälle die Wirksamkeit von Bakteriophagen gegen die
E. coli-Bakterien in der Datenbank allein durch die Analyse der DNA der Bakterien korrekt vorhersagen.
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Das ist ein Ergebnis, das unsere Erwartungen übertrifft", gibt Aude Bernheim zu.
Um den nächsten Schritt zu gehen, testeten die Forscher ihr Modell an einer neuen Sammlung von
E. coli-Bakterienstämmen, die Lungenentzündungen verursachen, und wählten für jeden Stamm einen maßgeschneiderten Cocktail aus drei Bakteriophagen aus. In 90 % der Fälle war der von der KI ausgewählte, individuell abgestimmte Cocktail in der Lage, die vorhandenen Bakterien zu zerstören.
Diese Methode, die sich leicht in Krankenhaus-Biologielaboren anwenden lässt, eröffnet in den kommenden Jahren die Möglichkeit einer schnellen und personalisierten Auswahl von Bakteriophagen-Behandlungen bei diagnostizierten Infektionen mit sehr antibiotikaresistenten
Escherichia coli.
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Wir müssen noch das Verhalten der Phagen in unterschiedlichen Umgebungen testen, aber der Konzeptnachweis ist erbracht. Wir hoffen, dies auf andere pathogene Bakterien ausweiten zu können, da unsere KI so konzipiert ist, dass sie sich leicht an andere Szenarien anpassen lässt und in Zukunft personalisierte Phagentherapien ermöglichen könnte", schließt Aude Bernheim ab.
Quelle: Inserm